Geht uns die Arbeit aus? Das war der Aufhänger eines NZZ-Podiums über die Zukunft der Arbeit vom Februar 2017. Die digitale Revolution ist an einem Punkt angelangt, an dem die intelligenten Maschinen den arbeitenden Menschen nicht bloss helfend unterstützen, sondern ihn als Arbeiter und Fachkraft zu ersetzen beginnen. Es zeichnet sich ab, dass Maschinen zwecks Erhöhung der Produktivität und Profitabilität in Bereiche vorstossen, wo Menschen bisher unabdingbar waren: als Lastwagenfahrer oder Zugführer, als Postbote oder Putzkraft, Anlageberatende oder Bürofachangestellte. Droht durch den Wegfall dieser Berufe eine epochale Massenarbeitslosigkeit?
Sowohl Soziologieprofessor Dr. Dirk Helbling als auch Doris Aebi, Mitinhaberin einer Exekutive Search Unternehmung und Präsidentin der Verwaltungsrates des Migros Genossenschaftsbundes, waren sich einig, dass der technologische Wandel die Gesellschaft auf allen Ebenen fordert und ein Anstieg der Erwerbslosen, zumindest vorübergehend, unvermeidbar sei. Beide sprachen sich für ein Grundeinkommen aus, auf das mittelfristig nicht verzichtet werden könne. Gemäss Helbling ist ein Grundeinkommen die Voraussetzung, die notwendige Kreativität, die der Wandel erfordert, freizusetzen. Helbling betonte auch die Wichtigkeit neuer Finanzsysteme. Aebi, selbst im Alter über 50, äusserte Zweifel an der Kompetenz der heutigen Führungskräfte. Diese seien mehrheitlich über 50 und immer noch dem linearen, statt dem systemischen Denken verhaftet. Rudolf Strahm, alt Nationalrat und Preisüberwacher, zeigte sich aufgrund unseres tertiären Bildungssystems für die Schweiz eher zuversichtlich.
Stimmt es, was Doris Aebi den Führungskräften vorwirft oder handelt es sich um altersdefizitäre Bilder, denen sie aufsitzt? Als Best-Practice-Beispiele erwähnte sie Airbnb und Uber, als schlechtes Kodak, dass die Zeichen der digitalen Revolution zu spät erkannte. Zweifelsohne stehen erstere Unternehmen für digitales Denken einer jüngeren Generation. Abgesehen davon, dass Uber gerade von einer Google-Tochter wegen Datendiebstahl verklagt wird, stellt sich die Frage, ob Unternehmen dieses Zuschnitts uns in eine Ökonomie führen, die einen geostrategischen Krieg wegen Ressourcenverknappung zu verhindern vermögen?
Wohl kaum. Kann es sein, dass Frau Aebi systemisches Denken mit digitalem verwechselte? Systemisches Denken in der Ökonomie, wie es u.a. der Oldenburger Professor Nico Paech (50+) mit seiner Postwachstumsökonomie lehrt, ist alten wie jungen Führungskräften gleichermassen fremd. Postwachstum bezeichnet ein Wirtschaftssystem, das zur Versorgung des menschlichen Bedarfs nicht auf Wirtschaftswachstum angewiesen ist, sondern sich aufgrund sich durch Wachstumsrücknahme auszeichnet.
Und wie steht es um die politische Elite mit ihrem Durchschnittsalter Ü50? ist diese für den Umbau der Gesellschaft gerüstet, der sich aufgrund der Alterung der Gesellschaft und der Industrie 4.0 abzeichnet oder mangelt es ihr an systemisch vorausschauendem Denken und Handeln? Seit der Gründung der Nationalen Konferenz Alter & Arbeitsmarkt im Jahre 2015 bewegt sich vor allem eines: Die Anzahl der Stellensuchenden über 45 Jahren schnellt nach oben, und zwar überdurchschnittlich. Das diesjährige Hearing beim Bundesrat Schneider Ammann vom Februar 2015, an dem der Verband Avenir 50plus teilgenommen hat, lässt erneut wenig Hoffnung zu. Der Glaube an den selbstregulierenden Arbeitsmarkt scheint unerschütterlich, der herannahende Paradigmawechsel noch kaum erkannt. Davon zeugt auch der Bericht des Bundes vom April 2016 «Strategie Digitale Schweiz». Auf November 2017 ist eine Studie in Aussicht gestellt, die sich den Fragen nach den Auswirkungen der Digitalisierung auf den Arbeitsmarkt annehmen wird, doch ob der Bericht über die alt bekannten Appelle hinaus auch wirksame Massnahmen ins Auge fasst, darf aufgrund der politischen Wetterlage eher bezweifelt werden.
Vor diesem Hintergrund forderte Avenir50plus in Bern erneut eine departementsübergreifende Taskforce mit dem Ziel, die politischen Rahmenbedingungen zu definieren, damit das Wohl der arbeitenden und erwerbslosen Bevölkerung längerfristig gesichert bleibt. Neuen Finanz- und Steuersystemen, welche den Kapitaltransfer statt die Arbeit besteuern, soll dabei grosse Wichtigkeit zukommen.
Doch auf Bern zu hoffen reicht nicht. Die Politik reagiert erst dann, wenn sie eine Bewegung von Betroffenen an der Basis wahrnimmt. In der Betroffenheit lag schon immer eine grosse Veränderungskraft. Lassen wir es vermehrt zu, unsere Kreativität in Kooperation mit andern in die Welt zu setzen. Die Mitgliedschaft in einem Verband der Betroffenen kann ein erster Schritt sein. Wir bleiben dran, bewegen uns und andere, auch 2017.
Heidi Joos Artikel als PDF
Unsere Eingabe an den Bundesrat